Wurzelwerk

Franz Schmid
www.franzschmid.net


“Heimat bedeutet, Wurzeln zu haben, nicht notwendigerweise verwurzelt zu sein.
Die Erde, aus der sie stammen, bestimmen den Code, nicht aber die Substanz.”

So schreibt Peter Bialobrzeski am Beginn seines Buches "Heimat" und beschreibt damit für mich ein Gefühl, welches ich schon lange spüre, aber nie beschreiben konnte. Als ich vor 15 Jahren nach München ging, in die 120 km entfernte große Stadt, die mit ihren renovierten Häuserzeilen und kultureller Vielfalt warb, war ich froh, aus der niederbayrischen Provinz entfliehen zu können. Doch mit den Jahren merkt man, dass man doch nicht ganz eins wird mit der "Weltstadt mit Herz", dass bei all den Möglichkeiten, welche diese Stadt bietet und die auch gewiss genug Ablenkung schaffen um das Leben nicht allzu schwer werden zu lassen, dann am Ende des Tages doch ein leichtes Gefühl der Leere bleibt. Es ist kein offensichtliches Heimweh, weil es auch gar nicht so sehr bewusst ist, was fehlt. Es ist ein leichter Schmerz, ein dumpfer Druck in der Bauchgegend, ein kleines Zwicken, wenn man den ganzen Tag versucht hat Hochdeutsch zu reden. Man hat Zeitlang, so sagt man in Niederbayern zu diesem leichten Unwohlsein, das nicht wirklich lohnt, dass man darüber ein Wort verliert. Und doch ist es da und nicht zu verleugnen. "I hob zeitlang nach dahoam", spricht der Niederbayer in der Welt, der sich endlich wieder traut, sich der Sprache seiner Mutter zu bedienen und Sehnsucht nach dem Land seines Vaters zu haben. Das trieb mich an, mich mit meiner Herkunft zu beschäftigen. So entstand die Serie “Wurzelwerk” vom Ort meiner Kindheit und von meinen Eltern:
Johann und Johanna Schmid











Der Hof befindet sich seit 1950 in unserem Familienbesitz. Mein Großvater kaufte ihn, meine Eltern übernahmen und bewirtschafteten ihn lange im Nebenerwerb. Heute haben sie die erwerbsmäßige Landwirtschaft aufgegeben und arbeiten nur noch zur Selbstversorgung.
Die Gebäude gewähren einen Blick auf die Veränderungen, welche sie in den letzten Jahrzehnten durchlaufen haben. Während die Fertigstellung der Grundmauern des Hauptgebäudes auf das Jahr 1816 datiert ist, wurden später immer wieder Umbauten getätigt. Provisorisch unvollendete Bauvorhaben wurden im Laufe der Zeit zu einem selbstverständlichen Teil des Erscheinungsbildes.









Meine Eltern waren neben der erbwerbsmäßigen Landwirtschaft immer schon auch Selbstversorger. Bewirtschaftung der Felder und Milchviehhaltung, um mit dem Verkauf der Nahrungsmittel einen zusätzlichen Verdienst zur Schichtarbeit meines Vaters bei BMW in Dingolfing zu haben. Im Frühjahr wurden Kartoffeln angebaut und im Herbst der Keller damit vollgemacht. Die Zeit von Juni bis August ist für meine Mutter eine ganz besondere: Die Heidelbeeren sind reif, welche in den weiten Wäldern des so genannten Holzlands wild wachsen. Den ganzen Tag ist sie dann beim "hoabaln" draussen, wenn sie zurückkommt sind die Hände blau und die Schüsseln reich gefüllt. Diese Zeit bezeichnet sie als ihren Urlaub.
Schweine und Hühner wurden überwiegend für die Familie gehalten. Als Kinder haben wir uns beim Schweine schlachten mit kleinen Plastikstühlen im Hinterhof platziert, um das Schauspiel mit großem Interesse zu verfolgen. Heute wirkt diese Vorstellung auf mich sehr befremdlich, damals war es ein Highlight des Jahres im ländlichen Alltag. Auch heute noch ist das Leben am Hof vom Wechsel der  Jahreszeiten und dem Rhythmus der Natur geprägt. Das verschafft eine gewisse Planbarkeit der anfallenden Arbeiten.










Alles Technische trägt die Handschrift meines Vaters. Reparaturen an den Maschinen und Umbauten an der Gebäudestruktur macht er so weit es geht selbst. Schnell zusammengezimmerte Hilfsvorrichtungen wirken einfach, erfüllen aber immer ihren Zweck.
Er hat keine Ausbildung genossen, sondern sich das alles selbst beibringen müssen: Durch Interesse, Versuch und Irrtum, einfach mal Ausprobieren was passiert und aus Fehlern wieder neue Erkenntnisse ziehen.








Pragmatisch werden Dinge einer neuen Nutzung zugeführt: In den früheren Kaninchenställen werden heute nachts die heranwachsenden Hühner eingesperrt, nicht mehr genutzte Kochtöpfe werden zu Tränken für die Tiere und im ehemaligem Kälberstall ist heute eine Waschküche untergebracht. In der einstigen Maschinenhalle werden Rundballen vom Pächter der Felder eingelagert und der alte Heustadel wird als Brennholzlager genutzt. Viele der landwirtschaftlichen Maschinen sind schon verkauft oder verschrottet, einige wenige werden noch manchmal genutzt und eingelagert.







Ein arbeitsreiches Leben fordert seinen Tribut, so manche Verletzungen hinterließen ihre Spuren, die Körper sind von der harten Arbeit zerschunden und ausgelaugt. Trotzdem arbeiten sie weiter und sind den ganzen Tag auf den Beinen.

Ich kenne wenige Menschen, die mit ihrem Leben so zufrieden sind, wie die beiden.